ENS-Europawahl-Prüfsteine: Das sagt die LINKE
Die Wahl zum Europäischen Parlament am 26. Mai wird auch über den Kurs der EU bei globalen Gerechtigkeitsfragen und der Migrationspolitik entscheiden. Das ENS wollte von sächsischen Kandidatinnen und Kandidaten der großen Parteien wissen, wofür sie stehen. Als Dritte antwortete Cornelia Ernst von der Linkspartei. Die Dresdnerin ist seit 2009 Abgeordnete des Europäischen Parlaments und Mitglied bei attac.
Was wollen Sie und Ihre Partei an der EU-Agrar-, Fischerei- und Handelspolitik ändern, um Menschen in ärmeren Ländern ein besseres Leben mit gerechten Chancen zu ermöglichen?
Cornelia Ernst: Die EU steht einer solidarischen Entwicklung des globalen Südens im Weg. Sie zerstört mit subventionierten Exporten und Freihandelsverträgen dessen nationale Märkte und raubt den Menschen die Lebensgrundlage. Zu den UNO-Zielen gehört aber die Abschaffung des Hungers. DIE LINKE will das zu einer Priorität der Europäischen Kommission machen. Weltweit ist die Zahl der Hungernden im letzten Jahr auf 821 Millionen Menschen gestiegen. Eine strukturelle Ursache sind benachteiligende Handelsbeziehungen und Billigexporte von Agrarüberschüssen, zum Beispiel Hühnerteile aus Europa. Dadurch werden Kleinbauern um ihre Existenz gebracht. Landwirtschaft muss vor Ort Ernährung sichern, statt zunehmend in Großbetrieben für den Weltmarkt zu produzieren. Auch in der EU soll Landwirtschaft gesund, umweltgerecht und regional orientiert produzieren können, statt in einen globalen Preiskrieg gezwungen zu werden. DIE LINKE setzt sich dafür ein, dass die Europäische Union für eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) eintritt, damit Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität nicht länger durch das Dogma des Freihandels verhindert werden.
Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie und Ihre Partei auf EU-Ebene umsetzen, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen?
Cornelia Ernst: Insgesamt muss die EU-Klimapolitik am Hauptziel des Pariser Klimaschutzabkommens ausgerichtet werden: die Erderwärmung möglichst auf maximal 1,5 Grad gegen- über vorindustriellen Werten zu begrenzen. Dazu muss die Weltwirtschaft in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts klimaneutral sein. Die bestehenden Ziele, Regularien und Instrumente der EU sind weit entfernt davon, diesem Ziel zu dienen. Darum brauchen wir einen europäischen Klimaschutzplan. Der Kohleausstieg muss europaweit sofort beginnen und 2030 abgeschlossen sein. Wir wollen keine neue fossile Infrastruktur. Es braucht in der EU eine öffentliche Emissionsbremse. Erneuerbare Energien müssen ausgebaut werden – bürgernah. Atomkraft und Fracking erteilen wir eine Absage. Wir verlagern einen Großteil des Güterverkehrs und innereuropäischen Flugverkehrs auf die Schiene. Wir fördern autofreie Innenstädte und investieren in Bus und Bahn. Im ticketlosen und flächendeckend gut ausgebauten barrierefreien ÖPNV fahren alle mit.
Werden Sie und Ihre Partei konkrete Schritte zur Sicherstellung der Menschenrechte in der gesamten Lieferkette von Produkten ergreifen – und welche werden das sein?
Cornelia Ernst: DIE LINKE will mit Abkommen über Partnerschaft und fairen Handel die globalen Wirtschaftsbeziehungen der Europäischen Union neu ausrichten und die bestehenden Handelsabkommen ersetzen. Wir wollen die Handelspolitik mit Entwicklungszusammenarbeit, Klimaschutz und friedenssichernder Politik in Einklang bringen. Dazu gehört die Überwindung der Armut, auch innerhalb Europas. In den Handelsbeziehungen, in den globalen Produktionswegen, Wertschöpfungs- und Lieferketten müssen anständige Arbeitsbedingungen und umweltgerechte Produktionsmethoden als Norm durchgesetzt werden.
Wir setzen uns für verbindliche Regeln für multinationale Unternehmen ein. Deshalb unterstützen wir den sogenannten Treaty-Prozess der Vereinten Nationen, der die Sorgfaltspflichten von Unternehmen gesetzlich verankern will und von den EU-Staaten bisher blockiert wird. Beschäftigte sollen gegen Menschrechtsverletzungen durch Konzerne auch an ihren Heimatstandorten klagen können. Die Zuständigkeit europäischer Gerichte wollen wir entsprechend erweitern.
Wir unterstützen zivilgesellschaftliche und Menschenrechts-Tribunale, die Verantwortliche für Landraub und Ausbeutung offen legen. Die EU muss ihrer internationalen Verantwortung gerecht werden und sich aktiv für den Schutz von Menschenrechten weltweit einsetzen.
Wie wollen Sie und Ihre Partei den Tod von Flüchtenden an der EU-Außengrenze verhindern und eine humane Migrationspolitik sicherstellen?
Cornelia Ernst: Es braucht sichere und legale Einwanderungs- und Fluchtwege in die EU! Für Schutzsuchende müsste eine visumfreie Einreise oder die Erteilung „humanitärer Visa“ möglich sein. Arbeitsmigrant*innen müssen eine reale Chance auf legale Einwanderung erhalten – und zwar nicht nach den einseitigen ökonomischen Nützlichkeitserwägungen der industrialisierten Aufnahmeländer.
Das Asylrecht muss wieder hergestellt und durchgesetzt werden! Wir wollen in der EU einheitliche Schutzstandards auf hohem Niveau; die Abschiebung der Verantwortung auf andere Staaten mithilfe von Drittstaaten- oder Herkunftsländerregelungen wollen wir beenden. Auch das Dublin-System muss ein Ende haben. Alle Schutzsuchenden sollen sich selbst entscheiden können, in welchem Land sie Asyl beantragen wollen. Seenotrettung ist Pflicht, internationales Seerecht und Selbstverständlichkeit. DIE LINKE spricht sich immer wieder öffentlich gegen die unverantwortliche und zynische Kriminalisierung ziviler Seenotretter*innen aus. Der Negativ-Wettbewerb durch abgesenkte Standards bei Unterbringung, Versorgung und Rechten muss abgeschafft werden. Wir fordern die Ausweitung verbindlicher Flüchtlingsrechte auf Armuts-, Umwelt- und Klimaflüchtlinge und eine entsprechende humanitäre Visa-Vergabe. Es braucht umfassende Aufnahmekontingente über das Resettlement-Programm des UNHCR.
Die EU-Kommission muss endlich gegen die Länder vorgehen, die ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen systematisch missachten. Für eine faire Verteilung von Geflüchteten in der EU wollen wir eine europäische Fluchtumlage: Alle Mitgliedsstaaten sollten entsprechend ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit Geflüchtete aufnehmen. Die Mitgliedstaaten, die überproportional viele Flüchtenden bei sich aufnehmen, sollen entsprechend große Ausgleichsummen erhalten. Die Kommunen dürfen mit den Kosten von Flucht und Integration nicht allein gelassen werden. Wir wollen einen »Europäischen Fonds für Willkommenskommunen«, der Geflüchteten Bewegungsfreiheit sichert und zugleich aufnahmebereiten Kommunen und solidarischen Städten direkt hilft. Kommunen, die die Bedingungen für Willkommenskultur verbessern wollen, können damit Mittel für die Versorgung und Integration von Geflüchteten beantragen. Wenn sich Geflüchtete in einer Kommune niederlassen, kann die Gemeinde anderseits auf der Grundlage der Neumeldungen noch Investitionsmittel aus einem Fond beantragen. Diese Investitionsmittel können dann allgemein für die öffentliche Daseinsvorsorge genutzt werden.