Wie Pegida von den wahren Gründen der Misere ablenkt

Uwe Schnabel hat versucht, mit PEGIDA-Demonstrant*innen zu sprechen – das Ergebnis war ernüchternd. Statt mit Geflüchteten gemeinsam gegen Ungerechtigkeiten zu kämpfen, spalten sie. Ein Erfahrungsbericht.

 

Immer wieder wird diskutiert, woher die rassistischen Vorurteile kommen, die sich unter anderem bei PEGIDA äußern. Deshalb möchte ich meinen Eindruck von einigen Diskussionen schildern, die ich am Rand von PEGIDA-Kundgebungen mit PEGIDA-Anhänger*innen (also unabhängig von ihrem biologischen und sozialen Geschlecht) geführt habe.

Prinzipiell erlebte ich bei ihnen sehr viel Frust und Angst. Viele hatten soziale Probleme wie Arbeitsplatzverlust oder die Angst davor. Sie fühlten sich sozial benachteiligt. Ich konnte sie zwar teilweise erfolgreich darauf hinweisen, dass die eigentlichen Ursachen dafür eher das Kapital und die Profitlogik sind. Teilweise waren sie aber der Meinung, die Superreichen hätten sich ihr Vermögen ehrlich verdient. Aber unabhängig davon meinten meine PEGIDA-Gesprächspartner*innen, dass die Geflüchteten und andere Migrant*innen eine Konkurrenz seien.

Sie haben also die kapitalistische Konkurrenzlogik verinnerlicht. Deshalb waren sie nicht so leicht empfänglich, wenn ich sie darauf hingewiesen habe, dass wir nur eine Chance haben, die Ungerechtigkeit zu beseitigen: wenn wir uns gemeinsam mit den Geflüchteten wehren. Somit waren sie auch der Meinung, dass die Geflüchteten den deutschen Sozialstaat überfordern. Sie sahen nicht, dass der Sozialstaat eher durch Niedriglöhne und Riesenprofite und eine mangelnde Einbeziehung des Kapitals für Sozialleistungen gefährdet ist.

Ich konnte zwar darauf hinweisen, dass der Libanon mit 4 Millionen Einwohner*innen auf etwa 10 000 Quadratkilometern also mit einer höheren Bevölkerungsdichte als in der BRD, und als wesentlich ärmeres Land über 1 Million Geflüchtete aufgenommen hat. Aber sie sahen nur ihre eigenen Probleme, nicht die globalen Zusammenhänge.

Das gilt auch für die bei PEGIDA regelmäßig kritisierte Ausländerkriminalität. Davon abgesehen, dass sie regelmäßig übertrieben wird, wird auch nicht hinterfragt, inwiefern die durch den deutschen Staat verursachten schlechten Lebensverhältnisse und gefährlichen Fluchtwege dazu beigetragen haben. Besonders merkwürdig ist, dass viele PEGIDA-Demonstrant*innen zwar regelmäßig auf die „Lügenpresse“ und die „Merkel-Regierung“ schimpfen, aber ausgerechnet die Verschleierung der aus meiner Sicht wirklichen Zusammenhänge auch aus diesen Quellen übernehmen. Aber auch bei vielen anderen Punkten bemerkte ich eine große Übereinstimmung zwischen PEGIDA einerseits und Regierungspolitik und Mainstreammedien andererseits:
Dass deutsche Politik und Wirtschaft viel zu den Fluchtursachen beitragen und vergleichsweise wenig Geflüchtete zu uns kommen, kommt kaum vor – im Gegenteil wird immer wieder betont, wie viele Geflüchtete wir aufnehmen. Dass die meisten Geflüchteten Binnengeflüchtete sind oder in die ebenfalls ausgeplünderten und dadurch verarmten Nachbarländer fliehen, ist somit nicht allgemein bekannt.
Es wird das Bild vermittelt, dass wir offene Grenzen für Geflüchtete haben und dies würde uns überfordern. Dass im Gegenteil die EU-Außengrenzen gegen Geflüchtete massiv abgeschottet werden („Festung Europa“) und die zumindest teilweise offenen EU-Binnengrenzen lediglich im Interesse des Kapitals sind (freier Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital), wird ignoriert. Zusätzlich stimmen PEGIDA, Regierung und Mainstreammedien auch in der Ablehnung der zivilen Seenotrettung für Geflüchtete und des sonstigen zivilen Ungehorsams gegen die Abschottungspolitik zur Unterstützung der Geflüchteten überein.

In diesem Zusammenhang werden die bisherige Rolle der Bundeswehr im Mittelmeer und die Abkommen mit bestimmten afrikanischen Staaten falsch dargestellt. Die Bundeswehr hatte nie die Aufgabe, Geflüchtete zu retten, sondern sie abzuwehren. Und mit den Abkommen werden nicht die Fluchtursachen bekämpft, im Gegenteil: Diese Staaten werden befähigt, die Geflüchteten schon vor dem Mittelmeer abzufangen und den Widerstand gegen die Ausplünderung dieser Länder durch das westliche Kapital zu unterdrücken.
Die Argumentation, die Geflüchteten sollen doch zuerst ihr eigenes Land in Ordnung bringen, kommt auch von offizieller Seite. Das gilt auch für die „Einwanderung in die Sozialsysteme“.

Die Unterscheidung zwischen „Ausländern, die uns nützen und denen, die uns ausnützen“ kam nach meiner Erinnerung von einem CSU-Politiker. Und Herr Lindner (FDP) brachte ja den Satz „mit gebrochenem Deutsch“. So wird eine Ablehnung der Geflüchteten erzeugt. Es soll nur im Interesse des Kapitals gehandelt werden.

Überhaupt wird ja vermittelt, wir hätten unser Land aus eigener Kraft aufgebaut und würden auch die Länder in der ganzen Welt unterstützen. Trotzdem würden die Leute zu uns kommen, um an unserem Lebensstandard teilzuhaben.

Auch der Umfang und die Art der Berichte, wenn ein Nichtdeutscher kriminell wird, unterscheidet sich deutlich von der Behandlung rassistischer Übergriffe: Über ersteres wird meist monatelang ausführlich berichtet (z.B. Weihnachtsmarkt in Berlin unter weitestgehende Ausblendung der Rolle des Inlandsgeheimdienstes). Dagegen wird der rassistische Überfall in München mit mehreren Toten als Amoklauf verharmlost.
Schlägereien in den Geflüchtetenunterkünften werden nicht auf die Lebensbedingungen zurückgeführt und so das Bild des grundsätzlich gewalttätigen Ausländers vermittelt. Deshalb wird von Politik und PEGIDA mit Unterstützung vieler Mainstream-Medien häufig ein noch schärferes Vorgehen gegen Geflüchtete verlangt.

Überhaupt werden Probleme durch Geflüchtete durch die Bundesregierung und in den Nachrichten regelmäßig aufgebauscht. Dass vielen Geflüchteten fälschlicherweise Asyl verwehrt wird, kommt dagegen kaum vor. So werden niedrige Anerkennungsquoten nicht skandalisiert, sondern eher als Zeichen von „Asylmissbrauch“ gewertet.
Somit unterscheiden sich die Aussagen von PEGIDA, Regierung und Mainstreammedien nicht grundsätzlich voneinander, obwohl alle drei das Gegenteil behaupten. Auch darin stimmen sie überein.
Da ist es für mich verständlich, dass PEGIDA-Demonstrant*innen ablehnend reagieren, wenn ihnen gezeigt wird, dass sie lediglich nützliche Idioten für die Herrschenden und nicht Opposition gegen sie sind.

Von einigen Demonstrant*innen hörte ich die Meinung, PEGIDA tue wenigstens etwas. Auch das ist ein Erfolg der Mainstream-Medien. Über PEGIDA wurde ausführlich berichtet. Über die seit 2004 stattfindenden Sozialproteste (siehe http://bundesweite-montagsdemo.com/) und die seit 2014 stattfindende Friedensmahnwache (wöchentlich 19 Uhr auf dem Jorge-Gomondai-Platz) praktisch nicht. Einige PEGIDA-Anhänger*innen schließen aus den verbalradikalen Sprechchören und Pfiffen einiger Gegendemonstrierender auf deren Gewaltbereitschaft. Dabei habe ich noch nie erlebt, dass von dieser Seite körperliche Gewalt ausging.

Umgekehrt zeigten z.B. die Verwendung von Fahnen mit Kreuzzugssymbolik und Übergriffe auf dunkelhäutigere Menschen die Gewaltbereitschaft von PEGIDA-Anhänger*innen. Dass ein verurteilter Bombenleger vorher PEGIDA-Redner war und auch Lutz Bachmann ein verurteilter Krimineller ist, wird teilweise von den Demonstrant*innen ignoriert, teilweise gehen PEGIDA-Anhänger*innen trotzdem zu PEGIDA. Anfang 2015 gab es als Gegendemonstration gegen PEGIDA die Angsthasendemonstration. Dort ging es darum zu thematisieren, wie Angst zu Vorurteilen führt, aber die Auseinandersetzung mit der Angst diese überwinden kann. Als Symbol wurde ein großes Hasenmodell mitgeführt. Diese Demonstration wurde von PEGIDA-Seite mit Eiern und nach meiner Erinnerung auch mit Möhren beworfen. Davon waren auch ENS-Personen betroffen, wie auf https://www.facebook.com/ens.sachsen/ dokumentiert wurde.

Und dies waren nur einige derjenigen PEGIDA-Anhänger*innen, mit denen ich ein einigermaßen vernünftiges Gespräch führen konnte.

Eine Kabarettistin hatte in der „Anstalt“ auf den statistischen Zusammenhang zwischen Männerüberschuss (wegen Frauenabwanderung in Gebiete mit besseren Arbeitsbedingungen) und rassistischer Einstellung verwiesen und geschlussfolgert, dass dies an sexueller Frustration liegt. Kurz nachher sprach ich mit einem, der u.a. deshalb zu PEGIDA geht, weil er keine Frau abbekommen hat. Er hatte die Hoffnung, unter den Geflüchteten eine zu finden. Aber dafür kamen zu viele junge Männer. Jetzt ist er sexuell frustriert. Andere PEGIDA-Anhänger*innen, mit denen ich sprach, lassen sich überhaupt nicht auf Diskussionen ein, sondern beschimpfen die Gegendemonstrierenden nur. Und einer hat mit dem Fuß gegen die Teelichter gestoßen, die von den Anti-PEGIDA-Protesten als Trennlinie aufgestellt wurden.

Natürlich kann ich nicht einschätzen, inwiefern meine Argumente doch mit der Zeit verfangen. Die meisten Menschen lassen sich ja nicht sofort umstimmen. Aber manchmal wirkt es doch. Auf jeden Fall ist es wichtig, dass nicht nur bei PEGIDA, sondern auch sonst auf die wirklichen Zusammenhänge hingewiesen wird. Dazu gehört auch, dass der verbreitete Frust zwar ernstgenommen, aber auf die wirklichen Ursachen gelenkt wird.

Uwe Schnabel ist Mitglied von attac Dresden, einer Mitgliedsgruppe des ENS.

 

Foto: Kalispera Dellhttps://www.panoramio.com/photo/116139756, Lizenz CC BY 3.0